21.02.2013 - Artikel Anzeiger für Harlingerland - Babybedenkzeit
Schon seit 2004 gibt es an der Hauptschule Esens das Projekt „Baby-Bedenkzeit“ als Prävention.
Müde und geschafft sind die Teilnehmer des aktuellen Projektes „Baby-Bedenkzeit“ an der Herbert-Jander-Schule, Hauptschule Esens. Seit Montag sind sie Mütter und Väter, 24 Stunden, am Tag und in der Nacht.
Eine frühe und ungewollte Schwangerschaft hat weitreichende Folgen. Betroffene junge Mütter und Väter – eigentlich selbst noch Kinder – sehen sich plötzlich vielen Problembereichen ausgesetzt. Statt ihren Freizeitaktivitäten nachgehen zu können, müssen sie auf gewohnte und geliebte Tagesabläufe mit Freunden verzichten. Verantwortung ist gefragt, und das 24 Stunden am Tag und in der Nacht.
Wie sich das „anfühlt“, haben in dieser Woche sechs Schüler der Herbert-Jander-Schule, Hauptschule Esens, kennengelernt, darunter auch zwei Jungs. Seit Montag sind sie Mütter oder Väter einer lebensechten Baby-Puppe. „Sie schreit, wenn sie Hunger hat, wenn sie ihr Bäuerchen machen möchte, die Windeln voll hat oder nur geschaukelt und getröstet werden will“, sagt Malte Kasten (15 Jahre) und fügt hinzu „auch nachts“. Und das sei natürlich ziemlich nervig. Die anderen in der Gruppe können das nur bestätigen. Ihre Babywünsche haben die Teilnehmer vorerst zurückgestellt.
Das ist das Ziel des Projektes „Baby-Bedenkzeit“, das seit 2004 regelmäßig in der Herbert-Jander-Schule für Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge sieben und acht angeboten wird. In den ersten Jahren wurden die Baby-Puppen vom Verein „pro Familia“ in Aurich zur Verfügung gestellt. Nach dessen Auflösung habe der Förderkreis der Hauptschule Esens zusammen mit weiteren Förderkreisen von Schulen im Landkreis Wittmund die Anschaffung eigener Puppen initiiert. Angeboten wird das Projekt heute vom Präventionsrat Harlingerland. Betreuerin ist seit September 2012 Eilien Meyer.
Unterstützt wird sie im aktuellen Projekt von der Sozialpädagogin der Hauptschule Esens, Undine Löschhorn, und Ingo Willms von der David-Fabricius-Ganztagsschule Westerholt, der sich vor allem um die Jungen kümmert.
Weitere Unterstützung kommt vom Gesundheitsamt, das über die Gefahren von Hepatites-B-Infektionen, die durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen werden können, informiert.
Während des Gespräch mit den Schülern beginnt plötzlich ein Baby zu schreien. Christopher Siegmund (14 Jahre) ist gefordert: Sein Baby braucht frische Windeln. Nach fast einer Woche Erfahrung gelingt der Windelwechsel problemlos. Genervt ist Christopher, wie auch seine Mitschüler, aber trotzdem. „Das passiert immer genau dann, wenn man glaubt, gerade mal einen Augenblick Ruhe zu haben“, sagt Mira-Fleur Widowski (14 Jahre). „Ich konnte mich in den vergangenen Tagen nicht mit Freunden treffen. Stattdessen musste ich mich immer um mein Baby kümmern.“ Am Arm tragen die Schüler ein Armband mit einer Baby-ID. Die ist jeweils auf eine bestimmte Puppe programmiert und zwingt die Schüler, sich zu kümmern. Eine andere Person wird nicht akzeptiert. Mogeln ist also nicht möglich.
Lea-Marie Oltmanns (15 Jahre) musste ihr Baby in dieser Woche mit in den Konfirmandenunterricht nehmen. „Das Interesse der anderen war groß. Alle wollten das Baby streicheln. An Unterricht war aber kaum noch zu denken.“
Nach fünf Tagen sind die jungen Mütter und Väter müde und geschafft. Einige haben kaum geschlafen. „Das war sehr anstrengend“, sagt Annalena Taaken (13 Jahre). Am meisten vermisst sie das Radfahren. „Mit dem Baby musste ich auf den Bus umsteigen.“ Heute können die Teilnehmer „ihre Babys“ wieder abgeben, die Jungs ganz ohne Wehmut, die Mädchen ebenfalls mit einem lachenden, aber auch einem weinenden Auge.
Was bleibt, ist die Erfahrung, aufgrund einer frühen Schwangerschaft und eines ungewollten Babys auf vieles verzichten, und sein Leben komplett neu gestalten zu müssen. „Das setzt Reife und ein hohes Maß an Verantwortung voraus“, sagt Projektleiterin Eilien Meyer.